Ein­flüs­se von Medi­ka­men­ten auf den Zucker­spie­gel – ein Erfah­rungs­be­richt

Wie managt man sei­nen lang­jäh­ri­gen Dia­be­tes Typ 1, wenn zur Behand­lung wei­te­rer Krank­hei­ten noch ande­re Medi­ka­men­te nötig sind? Die­ses The­ma ist kom­plex und kaum auf die Schnel­le abzu­han­deln. Ger­ne möch­te ich dazu eige­ne Erfah­run­gen wei­ter­ge­ben, und zwar mit Dia­be­tes Typ 1 (seit 1973) und Rheu­ma­to­ider Arthri­tis (RA, seit 1997).

Mein Dia­be­tes Typ 1 ist seit über 25 Jah­ren nach dem Basis-Bolus-Prin­zip mit regel­mäs­si­gen Selbst­kon­trol­len des Zucker­spie­gels ein­ge­stellt. Neben zwei Insu­li­nen für den Dia­be­tes sowie Blut­druck- und Cho­le­ste­rin­sen­ker wird die RA mit Immun­sup­pres­sor, Ent­zün­dungs­hem­mern (Napro­xenum und Cor­ti­son) und Schmerz­mit­teln (Wirk­stof­fe Par­acet­amol und Met­ami­zol) behan­delt.

Sowohl Typ 1 Dia­be­tes als auch die RA sind Auto­im­mun­erkran­kun­gen, deren genaue Ursa­che bis heu­te unklar ist. Bei mei­ner RA wird das Immun­sys­tem künst­lich her­un­ter­ge­fah­ren, um wei­te­re Schä­den am Kör­per zu ver­hin­dern. Sowohl das Cor­ti­son als auch der Immun­sup­pres­sor erhö­hen die Infekt­an­fäl­lig­keit. Daher sind die nor­ma­len Abwehr­re­ak­tio­nen des Kör­pers nur noch beschränkt oder gar nicht mehr vor­han­den. Der Kör­per bekämpft einen aku­ten Infekt nicht mehr.

Gän­gi­ge Schmerz­the­ra­pien

Ent­zün­dungs­hem­mer und Schmerz­mit­tel darf ich bei Schmerz­schü­ben in gewis­sem Umfang erhö­hen. Reicht die­se ora­le Ein­nah­me nicht aus, hel­fen loka­le Injek­tio­nen von Ent­zün­dungs­hem­mern im ent­zün­de­ten Gelenk, so genann­te Infil­tra­tio­nen. Jede Injek­ti­on, beson­ders in ent­zün­de­te Gelen­ke, kann ein mög­li­ches Ein­fall­tor für schwe­re Infek­te sein. Die Infil­tra­ti­on wird daher unter mög­lichst ste­ri­len Bedin­gun­gen vor­ge­nom­men und wirkt meist nach weni­gen Stun­den.

Bei per­ma­nen­ten Schmer­zen kann man zudem auf mil­de Anti­de­pres­si­va oder auf Medi­ka­men­te gegen neu­ro­pa­thi­sche Schmer­zen aus­wei­chen. Die­se sol­len hel­fen, das Schmerz­ge­dächt­nis und damit auch den Pati­en­ten zu ent­las­ten, haben aber star­ke Neben­wir­kun­gen. Als Alter­na­ti­ve bie­ten sich CBD-Trop­fen an, die zwar nicht abhän­gig machen, aber eben­falls die Wahr­neh­mung dämp­fen.

Beson­ders bei aku­ten Infek­ten, etwa nach Ope­ra­tio­nen (OPs) am offe­nen Gelenk, kom­men jeweils Anti­bio­ti­ka zum Ein­satz. Die­se sind bei immun­sup­p­ri­mier­ten Pati­en­ten als Schutz­schirm nötig, um das frisch ope­rier­te Gelenk und die Wun­de vor Infek­tio­nen zu schüt­zen oder um all­fäl­li­ge Infek­tio­nen im Akut­fall wie­der zu besei­ti­gen. Dies war bei mir lei­der nach jeder mei­ner Gelenk-OPs der Fall. Wenn die nor­ma­len Schmerz­mit­tel nach sol­chen OPs zur Sen­kung des Schmerz­pe­gels nicht mehr aus­rei­chen, wer­den Opio­ide ver­ab­reicht, etwa nach OPs mit nach­fol­gen­den Gelenk­s­in­fek­ten. Wegen der Abhän­gig­keits­ge­fahr darf man die­se jedoch nicht über einen län­ge­ren Zeit­raum ver­ab­rei­chen.

Eige­ne Erfah­run­gen mit Ste­ro­iden

Unter die­sen Bedin­gun­gen einen mög­lichst kon­stan­ten Zucker­spie­gel mit guter Lang­zeit­ein­stel­lung (opti­ma­ler HBA1c) zu errei­chen, ist für mich sehr her­aus­for­dernd. Zwar weiss man, dass Cor­ti­son (als eine von vie­len uner­wünsch­ten Neben­wir­kun­gen) den Zucker­spie­gel erhöht, egal ob nach ora­ler Ein­nah­me oder Infil­tra­tio­nen. Bei plötz­li­chen Schmerz­schü­ben gibt es jedoch kaum Alter­na­ti­ven zu Cor­ti­son. Des­sen ent­zün­dungs­hem­men­de Wir­kung erleich­tert den All­tag mit RA spür­bar.

Aber es erhöht den Zucker­spie­gel mess­bar schnell, beson­ders nach­hal­tig bei retar­die­ren­den Vari­an­ten oder nach Infil­tra­tio­nen. Unter nor­ma­len Umstän­den beschrän­ke ich mich mög­lichst auf 5 mg Cor­ti­son am Mor­gen und 2 mg retar­die­ren­des Cor­ti­son am Abend, um am Mor­gen danach mit einem erträg­li­chen Schmerz­pe­gel in den Tag zu star­ten. Pro 5 mg Cor­ti­son benö­ti­ge ich ca. 2 I.E. Basis­in­su­lin zusätz­lich. Steigt der Schmerz­pe­gel beson­ders unter feuch­tem oder kal­tem Wet­ter an, ist zusätz­li­ches Cor­ti­son wäh­rend mög­lichst weni­ger Tage nötig.

Hier hat sich bei mir die Stra­te­gie bewährt, das Basis­in­su­lin schritt­wei­se um jeweils 2. I.E. pro Tag zu erhö­hen und schnell­wir­ken­des Insu­lin ca. alle 3–4 Stun­den nach Kon­trol­le des Zucker­spie­gels zusätz­lich zu inji­zie­ren. Bei Reduk­ti­on des Cor­ti­sons ist die Insulin­do­sis wie­der­um schritt­wei­se auf das Aus­gangs­ni­veau zu sen­ken. Dabei ist eine hohe Auf­merk­sam­keit gefor­dert, um kei­ne Hypo­glyk­ämien zu pro­vo­zie­ren. Sinn­vol­ler­wei­se redu­ziert man das Cor­ti­son wie­der­um schritt­wei­se um 5 mg und senkt das Basis­in­su­lin ent­spre­chend in Schrit­ten von 2 I.E.

Aus­wir­kun­gen auf den All­tag von Dia­be­ti­kern Typ 1

Bei den in der Schweiz weit ver­brei­te­ten Schmerz­mit­teln mit den Wirk­stof­fen Par­acet­amol und Met­ami­zol betre­ten wir eine Grau­zo­ne. Von Par­acet­amol weiss man, dass bei län­ge­rer und/oder zu hoher Dosie­rung Leber­schä­den auf­tre­ten kön­nen. Und Met­ami­zol kann in sel­te­nen Fäl­len zu einer Stö­rung der Blut­bil­dung und in Fol­ge zu einer extre­men Immun­schwä­che mit Todes­fol­ge füh­ren. Die­sen Tat­sa­chen wid­men aber nicht alle Ärz­te eine glei­cher­mas­sen hohe Auf­merk­sam­keit.

Beson­ders auf­fal­lend ist das feh­len­de Wis­sen um die mög­li­che zucker­sen­ken­de Wir­kung von Par­acet­amol und Met­ami­zol. Zwar taucht das The­ma hin und wie­der an Kon­gres­sen auf, ist aber nur ein Rand­the­ma. Auf Bei­pack­zet­teln und somit auch im Kom­pen­di­um wird es jedoch ver­schwie­gen. Bei mir sinkt der Blut­zu­cker pro 1 g Par­acet­amol oder 500 mg Met­ami­zol um etwa 2–3 mmol/L, was ich durch Mes­sun­gen bele­gen kann. Die­se Neben­wir­kung ist bei Ein­nah­me die­ser Wirk­stof­fe unbe­dingt mit einer regel­mäs­si­gen Blut­zu­cker­mes­sung vor dem Schla­fen­ge­hen zu begeg­nen, um nächt­li­che Hypo­glyk­ämien mög­lichst zu ver­mei­den.

Nach mei­nen Erfah­run­gen kön­nen schwe­re Kom­pli­ka­tio­nen auch bei Ein­nah­me des Wirk­stoffs Pre­ga­ba­lin auf­tre­ten. Er gehört zur Wirk­stoff­grup­pe der Anti­epi­lep­ti­ka und blo­ckiert span­nungs­ab­hän­gi­ge Cal­ci­um­ka­nä­le im zen­tra­len und peri­phe­ren Ner­ven­sys­tem. Durch geziel­te Bin­dung an bestimm­te Unter­ein­hei­ten die­ser Cal­ci­um­ka­nä­le hemmt Pre­ga­ba­lin die Cal­ci­um-ver­mit­tel­te Aus­schüt­tung von Ner­ven­bo­ten­stof­fen. Der Pati­ent nimmt im Ide­al­fall läs­ti­ge nächt­li­che Schmer­zen weni­ger wahr, ins­be­son­de­re durch dia­be­ti­sche Neu­ro­pa­thien, wel­che sich z.B. in ste­chen­den Ruhe­schmer­zen in den Fuss­soh­len mani­fes­tie­ren.

Pro­blem dabei: die Wahr­neh­mung einer sich auf­bau­en­den nächt­li­chen Hypo­glyk­ämie wird bei mir eben­falls gedämpft und erfolgt zu spät. Eine Glu­ca­gen-Not­fall­sprit­ze konn­te ich mir oft nicht mehr selbst set­zen und wur­de bewusst­los – eine immer wie­der trau­ma­ti­sche Erfah­rung. Eine Hypo­glyk­ämie führt zu krampf­ar­ti­gen Anfäl­len und wirkt auf Aus­sen­ste­hen­de wie ein epi­lep­ti­scher Anfall, der u.a. zu gefähr­li­chen Stür­zen und Zun­gen­bis­sen füh­ren kann. Da bei jeder Hypo­glyk­ämie rund 100’000 Hirn­zel­len abster­ben, kann sie bei häu­fi­ge­rem Auf­tre­ten lang­fris­tig Hirn­schä­den zur Fol­ge haben. Hypo­glyk­ämien sind daher unter allen Umstän­den zu ver­mei­den.

Mein Fazit

Das Wis­sen um die Ein­flüs­se von Medi­ka­men­ten auf den Zucker­spie­gel ist (mit Aus­nah­me von Cor­ti­son) nach mei­ner jahr­zehn­te­lan­gen Erfah­rung mit Dia­be­tes Typ 1 und RA lei­der nicht all­zu weit ver­brei­tet – selbst unter Dia­be­to­lo­gen und Rheu­ma­to­lo­gen nicht, erst recht nicht unter Ortho­pä­den, die sich heu­te meist auf eine «Gelenksor­te» (Knie, Hüf­te, Hand, Fuss etc.) spe­zia­li­siert haben und denen dank Ter­min- und Kos­ten­druck kaum Zeit für kom­ple­xe Fäl­le bleibt. Bei OPs müs­sen kom­pe­ten­te Inter­nis­ten jeweils Unter­stüt­zung leis­ten.

Enge Zucker­kon­trol­len zei­gen, ob und wie der Zucker­spie­gel reagiert. Denn ins­be­son­de­re lang­jäh­ri­ge Dia­be­ti­ker haben meist eine gute Wahr­neh­mung ihres Zucker­spie­gels und sind bei guter Instruk­ti­on und unter Anwen­dung moder­ner Hilfs­mit­tel gut in der Lage, ihn selbst zu mana­gen. Auf­ga­be der Spe­zi­al­ärz­te wäre es, sie dar­in opti­mal zu unter­stüt­zen, Rück­mel­dun­gen des Betrof­fe­nen ernst zu neh­men und die­se vor allem nicht zu baga­tel­li­sie­ren. Betrof­fe­ne wäh­nen sich oft in ähn­li­chen Situa­tio­nen wie in der Auto­werk­statt, wo ger­ne behaup­tet wird, dass man der ers­te mit die­sem Pro­blem sei.  

Rüdi­ger Sel­lin, Fach­jour­na­list SFJ/MAZ